Die Neandertaler ziehen ein
Kaum rollen die Bagger an, ziehen schon die ersten Besucher ein. Sie sind ein raues Klima gewohnt, brauchen keine Heizung, kein elektrisches Licht und schlafen nicht in Betten. Verwöhnt sind sie wahrhaftig nicht, die Neandertaler.
Am 13. Dezember machen sie sich auf den Weg von Berlin nach Arnsberg: die hochschwangere junge Frau mit dem stolzen Jäger. Die beiden werden zukünftig den Höhleneingang in der steinzeitlichen Abteilung schmücken. Das junge Neandertalerpaar stammt aus der Berliner Werkstatt lifelike von Lisa Büscher. Nur wenige Künstler können lebensechte Modelle fertigen. Weltweit gibt es eine Handvoll Spezialisten, die Urzeitmenschen so echt rekonstruieren, dass man eine Scheu hat, sie zu berühren. Die gelernte Maskenbildnerin gehört zur Crème de la Crème der Urzeitkünstler in der deutschen Szene. Sie produzierte lebensechte Figurinen für Museen in Salzburg, Dresden und Luxemburg. Nun wird sie auch in Arnsberg ein Museum schmücken und um eine große Attraktion bereichern.
Wie entstehen solche lebensechten Figuren?
Um Urzeitmenschen lebensecht rekonstruieren zu können, arbeiten Wissenschaft und Kunst eng zusammen. Anatomie und Physiognomie sind wissenschaftlich nachgewiesen: Der Neandertaler hat einen kleinen, muskulösen und gedrungenen Körper. Eine leicht gebeugte Haltung schützt ihn zusätzlich vor der eisigen Kälte. Um den Körper modellieren zu können, wird zunächst ein Abguss hergestellt. Auf diesen Abguss werden Muskeln und Hautstruktur modelliert. Dann wird das Gesicht mit Lippen, Augenwülsten und Falten akribisch ausgearbeitet. Für den Abguss wird Silikon aufgetragen. Die erhärtete Gussform wird vorsichtig vom Modell abgezogen. Zum Schluss wird jedes Haar einzeln eingesetzt. Augen und Ohren werden bearbeitet und ergänzt und die Hautfarbe wird angepasst. Ein kreativer Prozess!
Woher wissen wir überhaupt, wie die Neandertaler aussahen?
Hier profitiert die Archäologie von der Forensik. In der Gerichtsmedizin dient die Forensik der Identifikation unbekannter Leichen sowie der Herleitung der Todesursachen. Das macht sich auch die Archäologie zu Nutze, denn man kann in der Forensik auch das Gesicht eines vor Tausenden von Jahren Verstorbenen rekonstruieren. Je mehr Bestandteile eines Schädels erhalten sind, umso leichter ist die Rekonstruktion. Der Schädel ist die Basis für das Gesicht. Er gibt ebenso Hinweise auf die Physiognomie wie die Weichteile. Ob der Steinzeitmensch eine schiefe Nase oder Schlupflider hatte, lässt sich am Schädel erkennen. Dazu wird der Schädel zunächst exakt vermessen. Anschließend kann er geformt werden. Nun beginnt die künstlerische Arbeit. Mit dem Einsetzen der Augen, der Bestimmung der Hautfarbe und einem Gesichtsausdruck wird dem Steinzeitmenschen Leben eingehaucht.
Kommen wir zurück zu den weit gereisten Neandertalern. Noch kann das junge Paar den Höhleneingang im Museum nicht beziehen. Doch ein Zwischenlager ist schnell gefunden. Den Blick gesenkt, eine Hand schützend am Leib stochert die Frau im wärmenden Feuer, während ihr Gefährte sich mit der Waffe für die Jagd bereit macht. Ein raues Leben. Doch schon bald wartet auf die beiden ein neues Zuhause.