Dr. Volker Jakob erzählt aus der Geschichte des westfälischen Adels

Wer sich an den Vortrag von Dr. Volker Jakob über Franz von Papen als Steigbügelhalter Adolf Hitlers erinnert, den er 2019 vor der Pandemie im Sauerland-Museum gehalten hatte, hätte vielleicht einen Vortrag erwartet, der noch härter mit der kleinen, aber feinen „Funktionselite“ der deutschen Reiche und Fürsten ins Gericht gegangen wäre, als das Urteil dieser Veranstaltung am 8. November 2022 im Blauen Saal des Sauerland-Museums ausfiel. In seiner „tour d’horizon“ verstand Jakob es unterdessen, zu ausgewogenen und differenzierten Erkenntnissen über die Rolle des Adels im Deutschen Reich im Allgemeinen und in Westfalen im Besonderen zu gelangen.

So zog er einen Bogen von den ersten fränkischen Vasallen, die für Kaiser und Reich in Sauerland und Südwestfalen Recht und Ordnung, und das hieß vor allen Dingen: den stetigen Fluss von Steuermitteln und Ernteabgaben, aufrecht erhielten, über die Drosten des Alten Reiches zu den preußischen Verwaltern, Militärs und Widerstandskämpfern im „Dritten Reich“.  Da anders als in anderen europäischen Ländern der Adel in Deutschland 1918 zwar seine Privilegien endgültig verlor, aber seine Titel als Familiennamen weiterführen durfte, begegnen uns die Familien auch heute noch in durchaus neuen Rollen – neben der Regenbogenpresse finden sie so auch im Bereich der Wohltätigkeit eine gewisse Bühne.

Zuvor hatten sich die Betätigungsfelder immer weiter reduziert: Vom alles beherrschenden Landbesitz, für den sie auch die Rechtsgewalt besaßen, gerieten die Adeligen bereits im Laufe der Frühen Neuzeit gegenüber Handel treibendem, städtischen Bürgertum insbesondere finanziell ins Hintertreffen. Während Familien wie die von Landsberg-Velens dann mit der Luisenhütte frühe unternehmerische Impulse für die Industrialisierung setzten, so blieben sie gegenüber dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum letztlich im Nachteil, als sich die Möglichkeit eröffnete, in einer neuen Zeit Dynamik und Wachstum zu erzeugen. Im Gegenteil: Ihre Lehnsleute gingen ihnen reihenweise von der Fahne, weil sie in den industriellen Ballungszentren die Zukunft in weitaus größere Freiheit für sich und ihre Familien sahen und oft genug auch fanden. So wandelte sich der Administrastivadel zunächst zu einem Militär-, in der Bundesrepublik dann beispielsweise zu einem Diplomatenadel.

Letztlich unbeantwortet bleibt die Frage, warum der Adel mit seinen Privilegien und seiner langen Familiengeschichte, die sich auf sorgsam gehüteten Abstammungsurkunden gründet, in unserer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft eine ungebrochene Faszination ausstrahlt. Diese zeigt sich, wie Stimmen aus dem zahlreich erschienen Publikum zu berichten wussten, bereits nach wie vor in der Reaktion auf Adelsprädikate wie „Freiherr“, „von“ und „zu“.

Der Historiker Dr. Volker Jakob ist ein gern gesehener Gast im Sauerland-Museum, in dem er regelmäßig gut besuchte Vorträge zur Geschichte Westfalens hält. Als wissenschaftlicher Referent leitete er von 1982 bis 2015 das Bild-, Film- und Tonarchiv im LWL-Medienzentrum für Westfalen und veröffentlichte zahlreiche Beiträge zur Fotografie- und Regionalgeschichte Westfalens. Seine Beiträge sind unter anderem im Kulturmagazin „Westfalenspiegel“ und im Jahrbuch der Gesellschaft für historische Landeskunde des westlichen Münsterlands erschienen.

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